Konzert by Else Lasker-Schüler

Konzert by Else Lasker-Schüler

Autor:Else Lasker-Schüler [Lasker-Schüler, Else]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gemeinfrei, Lyrik, Essays
ISBN: 342310645X
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Der letzte Schultag

Nur für Kinder über fünf Jahre

Meiner teuren Mama

Denn mit sechs Jahren pflegt man in die Schule zu kommen. Manche Kinder können vor Erwartung die Nacht vorher nicht schlafen, andere fühlen dumpf: Ihre erste Spielzeit ist vorüber. Kein Kind entrinnt seinem Schulgeschick, und daß nun einmal alle Kinder in die Schule gehen müssen, tröstet die ganzen langen, langen Jahre über sie hinweg. Also eines Morgens wird man in die Schule gebracht. Die kleinen Mädchen in ihren Sonntagskleidchen, die kleinen Knaben in ihren neuen Matrosenanzügen zur Feier des denkwürdigen Tages. Bald können sie alle lesen, rechnen und schreiben. An diese Dinge erinnere ich mich ganz genau, an den letzten Schultag weniger, denn – ich habe ihn – geschwänzt. Und auch die anderen Schultage haben sich fast alle vernarbt in meinem Gedächtnis. Woran man nicht eben allzu gern denkt!! Doch ich habe die Schrecken der Schule noch nicht ganz überwunden; nachts erscheint mir, wie oft schon, mein Schuldirektor Schornstein im Traum als wirklicher Schornstein im Bratenrock, und ich glaube im Rauch und Ruß ersticken zu müssen. Das nennt man Albdrücken, und es ist kein Vergnügen; so zu träumen. Der Direktor Schornstein kam nämlich auch immer so unverhofft in die Klasse mit der Tabakspfeife im Munde, um zu kontrollieren. Mir fielen die endlich kapierten Rechenaufgaben wieder in den Magen zurück, und ich schluckte und schluchzte, und ich kam in die Ecke. Damals war mein Herz noch eine frische Herzkirsche, und das war es ja eben, die Schule ließ mich immer den Stein fühlen. Allen Kindern, die einen Schulranzen auf den Rücken tragen, blicke ich mit Wehmut nach. Jetzt mag es ja anders sein, nachdem die gesamten Schulkinder gestreikt haben. Mein Papa war es, der mich und meine achtjährigen Freundinnen schon damals gegen die strenge Schulschaft aufzustacheln versuchte: Wir könnten viel mehr als die Lehrerinnen und Lehrer! – Er erreichte, daß ich und die Martha Schmidt und die Emmy Bachmann uns sträubten, weiter in die Schule zu gehen. Und ich erinnere mich, mein Papa und ich bekamen dann am Sonntag nach dem Mittagessen zur Strafe keine Torte. Er wollte nichts gesagt haben, denn er aß mit Leidenschaft Nußtorte, jammerte, bis meine älteste Schwester ihm heimlich ein großes Stück in einen großen Bogen gewickelt in die Manteltasche steckte. Ich sah es wohl. – Schule muß sein, in die Schule muß man gehen, wie sollte man sonst fürs Leben die nützlichen Dinge lernen, die man zur Verständigung nötig hat; bitte, wie? Zum Beispiel, man verreist einmal zur Tante oder zum Onkel – und möchte nach Hause schreiben. Schreiben muß man eben lernen! – Oder, du siehst im Kiosk die kleinen Indianerheftchen. Mit dem Bild auf dem Umschlag ist’s doch nicht allein getan. Lesen muß man eben lernen! Hätte ich nur besser im Rechnen aufgepaßt; jeder Kaufmann, der meine Bilderbücher verlegt, versteht sich die Wurzel herauszuziehen – rücksichtslos, ja, aus jeder Seite! Mit sechs Jahren ist das Gehirn noch weich (von Mörtel keine Spur), Buchstaben und Ziffern prägen sich leicht und tief in die nachgiebige Gehirnmasse, wie in den warmen Mondamin-Puddingteig die übliche Fischform.



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